REVIEWS | Süddeutsche Zeitung

Kopfkino
Das Staatsorchester löst im Nationaltheater unvermutet Filmerinnerungen aus.

“...Rustioni leitet das Konzert anstelle des im März verstorbenen Michail Jurowski, und er tut es hinreißend. Großartig, wie beredt er agiert, wie er tanzt, keck den Arm in die Hüfte stemmt und vor Konzertmeister Markus Wolf, der an diesem Abend etliche solistische Aufgaben zu bewältigen hat, mit großem Ausfallschritt in die Knie geht. Das ist keine Show, sondern Ausdruck seiner Musizierfreude, mit der Rustioni das Orchester zu ganz vorzüglicher Präzision animiert. Zunächst noch fließen Tschaikowskys Melodien in innigem Strom - und nur die häufige filmische Verwendung des berühmten Liebesthemas ist schuld, dass die schöne Musik im Kopfkino mit seltsamen Bildern konkurriert. Mit dem Beißer aus den James-Bond-Filmen zum Beispiel, der zu den süßen Klängen einer jungen Frau mit großen Zöpfen sein stählernes Lächeln schenkt.

Ganz zauberhaft ist anschließend Ottorino Respighis Tondichtung "Fontane di Roma". Es ist ein Vergnügen, wie farbig subtil Respighi seine Partitur instrumentiert hat und wie schön abgestimmt Rustioni und das Staatsorchester sie interpretieren. Da fliegen feinste Celesta-Wassertropfen durchs Sonnenlicht, es glitzert und sprudelt. Dann öffnet der Spritzbrunnenaufdreher alle Ventile und es rauscht und tost bis hin zur kraftvoll registrierten Orgel.

Nach der Pause kehren Romeo und Julia zurück, und es erklingen Auszüge aus Prokofjews Ballettsuiten Nr. 1-3. Wieder kann Rustioni seine Lust am griffigen Gestalten ausleben. Hinterher eilt er fröhlich durch die Reihen des Orchesters und gönnt allen, die mindestens einen solistischen Ton gespielt haben, einen Extraapplaus.”

Süddeutsche Zeitung, Andreas Pernpeintner, München

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